Tag 137: Zeit

137 Tage sind Sonja und ich nun schon in dem, was man unser neues Leben in der Konstellation drei minus eins nennen könnte. Draußen ist es nasskalt, grau, an manchen Tagen wird es gar nicht hell und sowieso um halb fünf am Nachmittag dunkel. Vor uns liegen in unregelmäßiger loser Folge die Adventszeit, Weihnachten, Silvester, Veronikas Geburtstag, mein Geburtstag, Ostern, dann mit zeitlichem Abstand Sonjas Geburtstag, ehe sich Veronikas Todestag zum ersten Mal jähren wird. 137 Tage sind ungefähr viereinhalb Monate. Keine lange Zeit - genau genommen. Und doch - die Erde hat sich auf Ihrer Bahn um die Sonne 352 Millionen  Kilometer weit bewegt - auch in Sonjas und meinem Leben ist kein Stillstand zu bemerken. Wenn diese 137 Tage von heute an in die Zukunft rechne, ist der 9. April 2024. Ostern wird dann schon eine Woche hinter uns liegen. Wir werden dann einen Großteil der oben genannten Feiertage und Anlässe hinter uns gebracht haben. Viele Mitwitwen und Mitwitwer berichten, es sei besonders schwierig, derartige Tage erstmalig nach dem Verlust zu durchleben. Insofern haben Sonja und ich in den kommenden 137 Tagen noch was vor uns, einen Weg, der nicht leicht zu gehen sein wird. Und doch: Ich bin zuversichtlich, dass wir da durch kommen, fühle mich von den Menschen, die uns umgeben, getragen und unterstützt. 

Oft habe ich geschrieben, dass sich in unserem Alltag viel verändert hat, dabei gibt es auch Schönes zu berichten, vor allem von den Menschen, die so mit uns durchs Leben gehen. Wenn ich mich in diesen tristen und trüben Herbsttagen etwas positiver stimmen möchte, überlege ich mir, was sich in den kommenden 137 Tagen zum Guten wenden könnte: Unsere Rentenanträge für Halbwaisen- und Hinterbliebenenrente könnten bewilligt sein, Sonja könnte in ihrer neuen Schule seelisch angekommen und in die Klassengemeinschaft integriert sein. Ich könnte - und das wäre mir am wichtigsten - in unserem neuen Alltag angekommen sein und für Sonja der weltbeste Papa sein, sofern sie in der Frühpubertät Bedarf an so jemandem hat. 

Dieser neue Alltag sollte viele positive und aufgeschlossene Blicke nach vorne beinhalten, aber auch genügend Raum für manchmal wehmütige, aber auch stärkende und liebevolle Erinnerungen an Sonjas und mein früheres Leben. Ein Leben, das so nie wieder kommen wird. Aber Sonja und ich, so wünsche ich es mir, sollen angekommen sein in einem Leben, das auf seine eigene Art auch wieder "schön" ist.

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