Tag 163: Jahre(s)rückblick
Ich hatte vor Kurzem ein Gespräch, ob ich mein Leben mit jemandem tauschen möchte. Nun, ich gebe mal kurz und knackig einen Rückblick auf meine bzw. unsere letzten Jahre, beginnend mit 2010.
2010: Nach einer beinahe gescheiterten Selbständigkeit kommen Veronika und ich beruflich ganz langsam wieder auf die Füße. Wir verbringen einen tollen Sommerurlaub in Jordanien.
2011: Ich bekomme von einem Menschen, den ich heute zu meinen guten Freunden zähle, einen entscheidenden Impuls für meine berufliche Laufbahn. Wir erteilen den ersten medizinischen Deutschkurs für eine Gruppe Ärzte aus Rumänien am Klinikum Eschwege.
2012: Im Frühjahr sieht es kurzzeitig so aus, als würden wir Eltern. Im Herbst sieht es schon wieder so aus. Hoffentlich hält die Schwangerschaft diesmal.
2013: Im Frühsommer werden wir tatsächlich Eltern. Der Name Sonja kommt uns kurz vor dem Kaiserschnitt in den Sinn. Wir beide genießen unsere neue Rolle sehr.
Bild: Jost Bürgi |
2014: Unsere Tochter wächst und gedeiht sehr schnell, die Selbständigkeit sehr langsam. Immer wieder müssen finanzielle Durststrecken durchgestanden werden.
2015: Wirtschaftlich schlagen wir uns so durch, das Auf und Ab zehrt an den Nerven. Im Frühjahr stirbt mein Stiefvater, im Herbst mein leiblicher Vater.
2016: Ich ändere nochmals die Strategie für meine Selbständigkeit, was unerwartet schnell für den finanziellen Durchbruch sorgt. Sonja kommt in den Kindergarten. Wir machen im Spätsommer eine große Italienreise.
2017: Beruflich läuft es richtig gut. Im Herbst bekommt Veronika erstmalig die Diagnose Brustkrebs im Frühstadium. Kaum ist eine Baustelle weg, kommt die nächste.
2018: Die beruflichen und wirtschaftlichen Sorgen treten endgültig in den Hintergrund. Die Krebstherapie zieht sich bis in den Spätsommer. Im September reisen wir drei Wochen durch Portugal.
2019: Sonja wird zum Schulkind. Wir kaufen dank einer "vorgezogenen Erbschaft" unser Haus im Stadtteil Geismar und ziehen im November ein. Die Krebs-Nachsorgeuntersuchungen sind unauffällig. Jetzt, so denken wir an Silvester, kommt unser Jahrzehnt.
2020: Die Covid-19-Pandemie führt im März zum ersten Lockdown. Unsere Reisepläne werden über den Haufen geworfen, dafür entdeckt Veronika ihre Liebe zur Gartenarbeit. Anfang Juli kommt der Krebs zurück. Im Oktober wird klar, dass er nicht mehr zu besiegen ist.
2021: Im Februar stirbt Veronikas Mutter im Alter von 90, die Trauerfeier findet unter strengen Auflagen statt. Das Jahr ist bis zum Sommer geprägt von Lockdown und Ausgangssperren - auf den Straßen sieht man ohnehin keine Gesichter, sondern stattdessen "Filtertüten". Im Herbst führen die starken Nebenwirkungen der Chemotherapie bei Veronika zu einem fast zweiwöchigen Klinikaufenthalt.
2022: Nach und nach werden alle Therapien der Leitlinie für das Mammakarzinom bei Veronika abgearbeitet. Den durchschlagenden Erfolg bringt keine davon. Im Juli folgt eine weitere Strahlentherapie mit heftigen Nebenwirkungen. Im August scheint schließlich der Tumor auf ein Minimum reduziert. Wir blicken nach vorne: Im Oktober reise ich mit Sonja nach Rom, während Veronika in der Reha ist. Danach kümmern wir uns zu zweit um unseren Hundewelpen. Sonja und ich wachsen stärker zusammen.
2023: Der Vorsorgetermin am 4. Januar zeigt neue verstärkte Tumoraktivität an mehreren Stellen. Von da an verschlechtert sich Veronikas Zustand zusehends und immer schneller. Die Ärzte fallen deutlich sichtbar in eine Art Panikmodus, probieren in raschem Wechsel Therapien aus. Ich übernehme mehr und mehr Aufgaben rund um Haus und Kind. Am 10.7 um 10:58 ist der Kampf verloren. Für Sonja und mich endet unser bisheriges Leben unwiederbringlich.
2024: Wir werden lernen, unser neues Leben zu leben, denn das Leben will nunmal gelebt werden.
Möchte ich mein Leben mit jemanden tauschen? Die Antwort lautet nein!
Kommentare
Kommentar veröffentlichen