Tag 311: Kinderschmerzen

Meiner lieben Tochter geht es in den letzten Tagen oft nicht gut. Wiederholt klagt sie über recht diffuse Schmerzen: Kopfschmerzen, Bauchkrämpfe, Ohrenschmerzen. Vieles deutet darauf hin, dass sich bei ihr erneut der Schmerz über den Verlust ihrer geliebten Mama wieder mal Bahn bricht. Seelischer Schmerz nach einem heftigen traumatischen Ereignis manifestiert sich oft in verschiedenen körperlichen Symptomen. Zudem zieht sie sich oft zurück, weint viel und zeigt starke Stimmungsschwankungen. Sie wirkt in einem Moment sehr antriebsarm und reagiert kaum auf Ansprache. Kurz darauf zeigt sie sich wieder sehr unruhig und unkonzentriert. Immer wieder sucht sie vermehrt meine Nähe. 

In den ersten Monaten nach Veronikas Tod habe ich Sonja oft unerwartet ruhig und gelassen erlebt. Sie war ausgeglichen, manchmal traurig, zeitweise auch fröhlich, weinte nur selten. 

Seit einigen Tagen ist sie wie ausgewechselt und ich gebe zu, dass mich diese Situation zeitweise an meine Grenzen bringt. Vor allem, wenn sie wieder mal herzzereißend weint, ihr Leben in Gänze verflucht und glaubt, dass da nie wieder etwas Schönes auf sie wartet. 

Ich kann mir leider nicht annähernd vorstellen, wie es in ihrer (Noch-)Kinderseele aussehen mag. Ein bisschen beruhigt mich die Vorstellung, dass jede geweinte Träne ein weiterer Schritt auf dem Weg zu einer Art Heilung ist. Leider kann ich ihr die Frage nicht beantworten, wie weit der Weg noch ist, aber dass er mit Sicherheit nicht endlos lang ist. Tränen zuzlassen und einfach da zu sein ist derzeit das einzige, was ich für sie tun kann, wenn sie wieder einen ihrer Durchhänger hat. 

Für sie ist es schwieriger als für mich, die Trauer als Prozess, als Weg in ein anderes Leben zu begreifen. Ich habe in den letzten Monaten Stück für Stück gelernt, die ungewollte Situation allen Widrigkeiten zum Trotz zumindest teilweise zu akzeptieren, frei nach dem Motto: "Bringt ja doch nichts." Ich muss mir immer wieder verdeutlichen, dass dieses Mädchen an der Schwelle zur Pubertät den Verlust ihrer Mutter begreifen, akzeptieren und verarbeiten muss.   

Kommende Woche haben wir einen Termin beim Kinderarzt. Ich hoffe sehr, dass sie bald einen Psychotherapieplatz bekommt.  

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