Tag 403: Leben

Heute ist die Trauerfeier ein Jahr her. Wer möchte, kann es hier nochmal nachlesen. Ich denke: Schon ein Jahr. Und ich denke: Erst ein Jahr. Die Trauerfeier ist ja als Übergangsritual in ein neues Leben gedacht, und so feiern wir heute quasi ein Jahr Weiterleben. Manches ist fast wie damals: Noch immer schreibe ich meine Beiträge für diesen Blog an dem gleichen Schreibtisch, wo Veronika ihren Arbeitsplatz hatte. Noch immer sind im Tiefkühlfach Dinge, die sie noch eingefroren hat. Und: Vieles hat sich verändert: Sonja und ich sind trotz kleinererer Reibereien zu einem guten Gespann zusammengewachsen. Meine neue Liebe Eva geht in diesem Haus ein und aus und es fühlt sich vertraut und vor allem sehr richtig an, dass sie da ist. Ich finde, sie hat eine großartige Art mit Sonjas und meiner Geschichte umzugehen. Dafür bin ich ihr von Herzen dankbar und weiss. dass so etwas keineswegs selbstverständlich ist. Ein neuer Mensch bringt auch einen neuen Schwung Leben(sfreude) in unsere vier Wände. 

Gestern habe ich einen alten Freund getroffen, der mir gesagt hat, ich sähe glücklich aus. Er kennt mich gut, seit über einem Jahrzehnt. Er lag richtig mit dieser Ansicht. Er fügte hinzu: "Du bist zurück im Leben." Ich konnte ihm nur zustimmen. Ich spüre mehr und mehr den Drang, auch mein äußeres Umfeld zu verändern. Dabei stelle ich mir immer mehr Fragen wie: Möchte ich an diesem Ort alt werden? Was wünsche ich mir für die Zeit, nachdem ich meine größte Aufgabe als Vater erfüllt habe und Sonja in ein selbstbestimmtes Leben weitergezogen ist? Will ich nochmal etwas Neues anfangen, z. B. ein Ehrenamt oder ein anderweitiges Engagement?   

Ich habe in diesem zurückliegenden Trauerjahr gelernt, dass es sich lohnt, nach vorne zu gucken, auch wenn es anfangs sehr schwer fällt. Das Streben nach Glück ist - wie ich finde - ein unveränderbares Recht jedes Menschen. Der Gedanke ist nicht von mir, sondern findet sich bereits in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776. 

Wer verwitwet ist, sollte an einem gewissen Punkt, wie ich finde, für sich den Weg finden, wieder glücklich zu sein. Ich meine damit nicht, dass so ein Gefühl erzwungen werden kann, aber man darf und sollte sich im Lauf des Trauerjahres auf den Weg zum Gipfel machen. Der Weg ist bei jedem unterschiedlich hart, unterschiedlich lang, unterschiedlich steinig. Dabei darf gerne Hilfe in Anspruch genommenw erden, das habeich streckenweise auch getan. Ich kann heute sagen: Oben wartet ein Blick über sonnenbestrahlte Gipfel, runter ins Tal und auf blühende Almen. Das Leben lohnt sich, wie auch immer.  

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